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ZERSTREUTE KÖPFCHEN / KOMMUNIZIERENDE GEFÄSSE | Norbert W. Hinterberger
ZERSTREUTE KÖPFCHEN / KOMMUNIZIERENDE GEFÄSSE | Norbert W. Hinterberger
20. Januar 2019 | 11:00 - 13:00
https://www.ostiaantica.beniculturali.it/it/orari-e-tariffe/
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Der österreichische Künstler Norbert W. Hinterberger ist in der 10. Biennale „ArteInMemoria“ in Ostia Antica mit einer in der dortigen antiken Synagoge geschaffenen Installation vertreten.
Sein Konzept dazu beschreibt er folgendermaßen: „Auffallend an der Synagoge mit ihren verbliebenen vier Säulen sind die fehlenden Kapitelle, wovon auf älteren Fotos noch drei auf ihren Säulenschäften ruhen. Als korinthische Kapitelle mit ionischen Voluten ähneln diese stilistisch den kleineren Säulen des Thoraschreines.“
Das Wort Kapitell entspringt aus dem lateinischen Caput, der Kopf; das Capitellum verweist – zumindest im Deutschen – als Köpfchen durchaus auf den doppeldeutigen Sinn neben seiner tragenden Funktion auch auf besondere Klugheit.
Die fehlenden Kapitelle – ersetzt durch kommunizierende Gefäße aus Terrakotta und Büchern als Abakus – finden sich zerstört und als Scherben auf dem Boden der Synagoge – eine Parallele auch zu den zerbrochenen Gefäßen in der Kabbala als Teil des Schöpfungsprozesses. Sichtbar sind noch die Gravuren von Namen von Städten, in denen sich – weltweit verstreut – bedeutende Synagogen befanden und eventuell noch befinden (Jerusalem, Addis Abeba, Recife und Berlin). Kommunizierende Gefäße symbolisieren gleiches Niveau und verweisen im konkreten Sinne auf global vernetzte Traditionen und Rituale.
Als Abakus der Kapitelle dient jeweils ein großformatiges Buch, welches auf den wichtigen Beitrag und die herausragende Bedeutung der Schrift in der jüdischen Kultur verweist.
Das Kapitell namens Jerusalem wird großteils unbeschädigt auf dem Steinpflaster stehen, die restlichen drei als zersplitterte Fragmente in unmittelbarer Nähe zu ihren angestammten Säulen.
Die Säulen samt ihren Buch-Kapitellen können auch als „Stützen der Gesellschaft“ interpretiert werden – eine Tatsache, welche in vergangenen und zeitgenössischen Gesellschaften nicht immer in ihrer ganzen Tragweite bewusst war und ist.
Verfolgung und Gefährdung des Judentums in Vergangenheit und Gegenwart finden ihre Entsprechung in den herabgefallenen zerstörten und teilweise verbrannten Kapitellen.
Die erst 1961 im Zuge eines Straßenbaus zum Flughafen von Rom entdeckte Ruine der Synagoge von Ostia Antica gilt als eines der ältesten archäologischen Zeugnisse des Diasporajudentums. Identifiziert als Synagoge durch das Relief einer Menora war sie vom 1. nachchristlichen bis zum 4. Jahrhundert als jüdische Ritualstätte in Verwendung.
Seit 2002 verleihen international wirkende Künstler diesen Überresten in kontextbezogenen Installationen eine zeitgenössische Interpretation, u. a. Giulio Paolini, Jannis Kounellis, Sol LeWitt, Lucio Fontana, Giovanni Anselmo, Lawrence Weiner, Daniel Buren, Giuseppe Penone, Richard Long, Jochen Gerz und Horst Hoheisel.
Norbert W. Hinterberger (geb. 1949 in Oberösterreich) lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte von 1970 bis 1976 an der Akademie der Bildenden Künste Wien (Kunst) und an der Universität Wien (Philosophie/Psychologie). Von 1979 bis 1993 war er als Assistent an der Kunsthochschule Linz bei Laurids Ortner (Haus-Rucker-Co) und an der Meisterklasse für Visuelle Gestaltung (Gastprofessoren Günther Feuerstein, Jochen Gerz, Günther Förg, Dietmar Eberle, Wolfgang Flatz, Alfred Zellinger, Herbert Lachmayer) tätig. Nach seiner Gastprofessur an der Escola de Artes Visuais (Rio de Janeiro) lehrte er von 1993 bis 2015 als Professor für Freie Kunst an der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar. 1998 war er Gastprofessor an der University Newcastle/Sydney, von 1999 bis 2001 Dekan der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar.
Langjährige internationale Ausstellungstätigkeit, Kunstwerke im öffentlichen Raum in Österreich Deutschland und Italien.